Sitten, gestern, heute, morgen

„Offenbare Bestechung hörte er Fürsprache und verschämte Gierigkeit Diäten nennen“

Der Decamerone – Die Novellen des ersten und zweiten Tages
– Boccaccio –

Was er, mit nicht gewöhlichem Scharfblick begabt, selber wahrnahm und was er hier und da von anderen erfuhr, überzeugte ihn nun bald, daß sie alle der Wollust fröhnten, und wzar nicht allein der natürlichen, sondern auch der Sodomie, ohne sich von Scham oder Schande Zaum und Zügel anlegen zu lassen, so daß in den wichtigsten Angelegenheiten das Fürwort der feilen Dirnen und Lustknaben nicht geringen Einfluß ausübte. Außerdem befand er alle durchweg als Schlemmer, Säufer, Trunkbolde und Geschöpfe, die wie unvernünftige Tiere nächst der Wollust mehr dem Bauche als irgend etwas anderem gehorchten. Bei genauerer Betrachtung lernte er sie auch noch als so geizig und geldgierig kennen, daß sie mit Menschen-, ja mit Christenblut und mit den heiligsten Dingen: Opfern, geistigen Ämtern und allem nur möglichem anderen Handel trieben. Dabei sah er ärger markten und mehr Mäkler beschäftigt, als jemals in Paris beim Handel mit Tuch oder sonst irgend einer Ware. Offenbare Bestechung hörte er Fürsprache und verschämte Gierigkeit Diäten nennen; als ob Gott nicht den bösen Willen im verworfenen Herzen, geschweige denn den wahren Sinn der Worte erkannte, sondern nach Art der Menschen sich durch den Namen der Dinge täuschen ließe.